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Rivista Antonianum
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Foto Bohl Cornelius , Recensione: JOHANNES SCHNEIDER, „Virgo ecclesia facta“. Die Gegenwart Marias auf dem Kreuzbild von San Damiano und im „Officium Passionis“ des heiligen Franziskus von Assisi , in Antonianum, 74/3 (1999) p. 558-562 .

Der Autor, der vor seinem Eintritt in die Tiroler Franziskanerprovinz mehrere Jahre an der Akademie der Bildenden Künste in Wien studierte, ist im deutschsprachigen Raum seit längerem durch zwei Veröffentlichungen bekannt, nämlich durch seine Studie Mariologische Gedanken in den Predigten des heiligen Antonius von Padua (Werl/Westf. 1984) und das überaus lesenswerte Büchlein Laßt euch versöhnen! Ansprachen über die Beichte (Einsiedeln 1990). Der bereits in diesen beiden frühen Publikationen deutlich werdende Spannungsbogen zwischen wissenschaftlicher Analyse und existentiellem Glaubensvollzug, gepaart mit einem feinen Gespür für die tiefe Aussage künstlerischer Darstellungen, bildet auch den Rahmen, in dem sich die vorliegende Arbeit bewegt. Für diese im Franziskanischen Institut für Spiritualität am Pontificium Athenaeum Antonianum in Rom erstellte Dissertation erhielt Schneider im November 1998 von Papst Johannes Paul II. einen Preis der Päpstlichen Universitäten, mit dem der Beitrag junger Wissenschaftler und Künstler zur Entwicklung der Religionswissenschaft, des christlichen Humanismus und seiner künsterlischen Ausdrucksformen gewürdigt wird.

Über das vom Umfang her relativ bescheidene Corpus der Franziskus-Opuscula gibt es inzwischen eine kaum mehr zu überschauende Fülle von Studien, so daß man sich fragen könnte, ob denn eine Beschäftigung damit überhaupt noch lohnt und zu nennenswerten neuen Ergebnissen zu führen vermag. In diesem Zusammenhang liegt ein Hauptverdienst von Schneiders Arbeit sicher darin, daß er dem Leser anschaulich deutlich macht, wie ein neuer methodisch-hermeneutischer Frageansatz gerade bei scheinbar Bekanntem zu ungewohnten und überraschenden Einsichten und Durchblicken führen kann. Die die gesamte Arbeit inspirierende Initialzündung ist in der Tat nicht alltäglich: Angeregt von der Aussage Johannes Pauls II., die „marianische Spiritualität“ finde eine „überaus reiche Quelle in der geschichtlichen Erfahrung der Personen“ (Redemptoris Mater, Nr. 48), möchte der Autor die franziskanischen Quellen auf die Gegenwart Marias im Leben des hl. Franziskus untersuchen. Wie der Titel angibt, beschränkt er sich dabei auf das Kreuzbild von San Damiano (Kapitel 1, 54-123) und das auf diese Ikone als seine „theologisch-mystische Inspirationsquelle“ (51) bezogene Passionsoffizium, wobei er zunächst gesondert die Antiphon Sancta Maria virgo analysiert (Kapitel 2, 124-213), um sie dann als hermeneutischen Schlüssel an fünf der von Franziskus komponierten Psalmen anzulegen (Kapitel 3, 214-297). Aus diesem Ansatz entwickelt sich im Laufe der Arbeit ein interessantes hermeneutisches Dreieck, dessen Eckpunkte sich gegenseitig bedingen und wie drei übereinanderliegende Schichten wechselseitig erhellen und interpretieren: das Franziskus bereits vorgegebene gemalte Bild, der von ihm komponierte Text des Offiziums sowie seine damit zusammenhängenden existentiellen Erfahrungen, etwa die „Bekehrung“ vor dem Kreuz oder das Ereignis seines Betens samt den daraus resultierenden Folgen, welche ihrerseits wiederum aus den Opuscula und verschiedenen Quellenschriften erhoben werden. Der Blick des Autors aber geht nochmals durch diese ikonographischen, literarischen und biographischen Daten hindurch auf das „Wirken der Gnade“, die „an sich ungreifbare, weil übernatürliche göttliche Gegenwart“ (47).

Das beharrliche Ineinanderlesen von Bild, Text und Erfahrung läßt nicht nur Vertrautes in neuem Licht erscheinen, es eröffnet auch überraschende Querverbindungen und Zusammenhänge und führt den Leser in eine Tiefe, aus der heraus sich scheinbar nebeneinander Stehendes zu einem organischen Ganzen verbindet und seine innere Stimmigkeit offenbart. Exemplarisch sei hier auf die mehrdimensionale Interpretation der domus verwiesen, zu deren Wiederherstellung der Gekreuzigte in San Damiano auffordert. Schneiders Auslegung sieht diesen Auftrag nicht nur dort erfüllt, wo Franziskus die steinerne Kapelle repariert oder später die wankende ecclesia univeralis stützt. Gott selbst legt Hand an den Wiederaufbau, indem er das Herz des jungen Franz in Erfüllung seines Betens eben vor diesem Kreuz erleuchtet, im Mitleiden verwundet und darin Wohnung nimmt. Mit dem Bau eines monasterium der Armen Frauen entsteht dann zudem ein geistliches Haus aus lebendigen Steinen (76-99). Die Auslegung der Kreuzikone als „gemaltes Johannesevangelium“, nach der die in Johannes und Maria symbolisierte Kirche aus der Seitenwunde Christi geboren wird, ermöglicht es sodann, die Linie cor - domus/ecclesia - monasterium auf die marianischen Titel palatium, tabernaculum, domus aus dem ebenfalls johanneisch geprägten Gruß an die Gottesmutter hin auszuziehen: Die virgo ecclesia facta führt anschaulich vor Augen, wie jeder Mensch „Haus Gottes“ werden kann, wenn Gott selbst ihm durch die Einleuchtung des Heiligen Geistes in sein Herz den Glauben schenkt (100-117), wodurch dann wieder der Bogen zurückgeschlagen wird zur eben vor dieser Ikone geäußerten Bitte des jungen Franz um Erleuchtung seines Herzens. Ein anderer überzeugender Beleg für die tiefe Verschränkung von Bild, Text und Leben gelingt Schneider in der Auslegung des Psalmes VI aus dem Passionsoffizium als Versprachlichung der auf dem Kreuzbild dargestellten Passionsszenen. Aus dem Kontext wird dargelegt, wie Vers 7 et factum est cor meum tamquam cera liquescens aus der Betrachtung der Maria-Johannes-Szene in Joh 19,25-27 erwachsen sein muß. Schneider setzt dann diesen Vers sowohl in Beziehung zu dem auf der Ikone darstellten geöffneten Herzen Christi wie zu der in der Dreigefährtenlegende 14 überlieferten Erfahrung des jungen Franz, der sich vom Anspruch dieses Bildes im Innersten getroffen weiß: ab illa hora vulneratum et liquefactum est cor eius (293f). Wie der originelle Frageansatz nach der Gegenwart Marias im Leben von Franziskus neue und schöne Einsichten in die geistliche Erfahrung des Heiligen ermöglicht, zeigt vielleicht am deutlichsten die Auslegung der Psalmen II und XII des Passionsoffiziums als Ausdruck der „Mutterschaft Marias in der Passion“ (253-283): Sterbend am Kreuz erinnert sich Christus seiner Mutter, aus deren Schoß er geboren wurde und die ihn genährt hat, weil er gerade in dieser Erfahrung der Mutter auch die Erfahrung Gottes macht (II,4f: „Du bist es, der mich losgerissen hat vom Mutterschoß, du meine Hoffnung von meiner Mutter Brust an, dir ward ich zugewiesen vom Mutterschoße an. Von meiner Mutter Schoß an bist du mein Gott“; XII,5: „Auf dich bin ich gestützt vom Mutterschoße an, von meiner Mutter Leib an bist du mein Beschützer“). Die Erinnerung an den Schoß der Mutter vermittelt ihm so selbst in seiner scheinbaren Gottverlassenheit die Erfahrung, der Sohn zu sein, der „im Schoß des Vaters ruht“ (Joh 1,18).

Ein besonderer Reiz der Arbeit Schneiders liegt sicher gerade darin, daß hier die Beziehung von Franziskus zu Maria nicht auf eine äußerliche Darstellung seiner Marienfrömmigkeit reduziert, sondern eine existentielle „marianische Dimension“ in seinem Leben aufgezeigt wird: Franziskus steht nicht nur in Verehrung vor ihr, sondern gleichsam an ihrer Stelle unter dem Kreuz bzw. nimmt sie wie der „Jünger, den Jesus liebte“, in sein Haus auf. Die „marianische Gegenwart“ besteht „zuallererst nicht in direkter Beziehung zu Maria selbst, sondern mit ihr in einer spezifisch marianischen Christusbeziehung“ (87). Als besonders gelungen darf hier die aus den Opuscula selbst herausgelesene Darstellung der „marianischen Meditation“ bei Franziskus gelten (48f; 131-145). Damit leistet der Autor einen Beitrag zu einem wiederholt geäußerten Anligen H. U. von Balthasars, dem er sich übrigens in vielerlei Weise verbunden weiß (vgl. z. B. den Exkurs „Zwei in einem Ruf, 117-123; 259 u.ö.), nämlich die Gestalt des Heiligen selbst und nicht nur die von ihm hinterlassenen Gedanken als locus theologicus zu entdecken und auszuschöpfen. Zwischen „existentieller“ und „theologischer Sendung“ besteht eine „unauflösbare Einheit“ (45).

Der dargestellte hermeneutische Ansatz kann bei manchem Leser auch kritische Nachfragen auslösen. Obwohl Text und Bild zunächst jeweils in sich historisch-kritisch analysiert und eingeordnet werden, erfordert die Zusammenschau so unterschiedlicher Quellen und die Durchschau auf die dahinterliegende religiöse Erfahrung notwendigerweise sehr viel subjektives Einfühlungsvermögen und vollzieht sich oftmals auch mit Hilfe intuitiver Wahrnehmung, begründbarer Wahrscheinlichkeiten oder sinnvoller, wenn auch nicht objektiv beweißbarer Schlußfolgerungen. Mit Blick auf die theologia cordis von Franziskus selbst bezeichnet Schneider jene Methode als „wissenschaftlich“, die „ihrem Objekt angemessen“ ist. „Das Thema wird ... fortwährend die Methode bestimmen ... und zu einem kontemplativen Prozeß herausfordern, mit der ständigen Aporie, wie aus dem subjektiv Geschauten objektive Gestalt und aus Intuition Wissenschaft werden soll“ (49). Dennoch ist sicherlich die Frage berechtigt, ob beispielsweise Franziskus und Klara, für die das Kreuz von San Damiano tatsächlich über lange Zeit hinweg das tägliche Meditationsbild darstellte, die Details des vielleicht über Augenhöhe angebrachten Bildes in einem u. U. dämmrigen Kirchenraum so präzise wahrgenommen haben werden, wie dies die Auslegung der Ikone z. T. voraussetzt. Nur schwer nachvollziehbar scheint mir persönlich der detaillierte Aufweis der triadischen Struktur der Antiphon Sancta Maria virgo (146-153). Wiederholte graphische Gegenüberstellungen unterschiedlicher Franziskustexte weisen zwar anschaulich auf sprachliche und inhaltliche Parallelen hin (vgl. z. B. 162; 178; 185; 187; 192; 227), aber es fragt sich doch, ob Franziskus tatsächlich theologisch-spirituell so konsequent parallel gedacht hat oder ob für manche Entsprechungen nicht manchmal auch einfach der Zufall bzw. formelhaft wiederkehrende Wendungen mit verantwortlich sind. Diese streckenweise sehr assoziative und spekulative Gedankenführung des Autors äußert sich oft auch sprachlich in konjunktivischen Formulierungen („Könnte es nicht sein, daß auch Franziskus ...Und die Antwort des Jüngers Franziskus würde lauten ... Auf diese Weise wäre Franziskus ...“, 116), Fragen, Mutmaßungen („so daß man sich gut vorstellen kann“, 59; „so daß sich die Deutung anbietet“, 71; „Wir können deshalb annehmen ...“, 222; „Scheint es nicht so, daß ...“, 224; „dann wäre ... eine solche Deutung denkbar“, 237) und einem immer wieder vorkommenden „Vielleicht“ („Vielleicht soll dadurch angedeutet werden“, 74; „Vielleicht können wir von daher ihr Stehen „apud  ... Filium“ noch einmal deuten ...“, 186; „Vielleicht können wir sagen ...“, 198). Vom Leser, der dem Gedankengang der Studie folgen möchte, verlangt der Text eine große innere Bereitschaft zu einer geistlich-allegorischen Schriftauslegung und eine ähnliche sprachliche, gedankliche und spirituelle Feinfühligkeit, wie sie der Autor selbst besitzt, zumal wenn immer wieder dieselben Texte etwa der Antiphon Sancta Maria virgo aus jeweils leicht veränderter Perspektive und in einem nur vorsicht anders nuancierten Kontext neu betrachtet werden. Das macht die Lektüre des Textes z. T. anstrengend, vor allen Dingen auch dann, wenn das Bemühen um sprachliche Präzision zu sehr sperrigen Formulierungen führt („diese unangebrochene bereits verwirklichte und wiederum unendlich offene Fülle“, 246; „Diese dem Kind im Mutterschoß eingeprägte Vatererfahrung durch die Mutter wird beim vollendeten Vollzug des Vaterwillens neu aktuell“, 269).

Ein Randbemerkung am Schluß: Schneider findet die „erstaunliche Aussage“ cui servire regnare est aus der Compilatio Assisiensis 61 im II. Vatikanischen Konzil und bei Johannes Paul II. wieder (199f). Da sie sich aber noch heute im Meßbuch im Tagesgebet am Gedenktag des hl. Kasimir findet (4. März), dürfte bereits die franziskanische Quellenschrift hier auf eine bereits bestehende Formel zurückgegriffen haben.

Schneiders Arbeit macht Lust, sich wieder neu mit Opuscula von Franziskus zu beschäftigen und dabei auch nach neuen kreativen und spirituellen, „ganzheitlichen“ Zugängen zu suchen. Die Mühe lohnt sich, nicht nur, weil sich jede Generation den darin verborgenen Reichtum jeweils neu aneignen muß, sondern auch deswegen, weil jede neue Nachfrage aus einem je eigenen Blickwinkel heraus geschieht und damit an der geistlichen Gestalt des Heiligen tatsächlich je Neues entdecken kann. Und so wie die Opuscula aus seiner geistlichen Erfahrung entstanden, wird die Beschäftiung mit ihnen auch wieder zu neuer geistlicher Erfahrung führen. Es ist nicht zuletzt diese zwischen den Zeilen auf jeder Seite spürbare Überzeugung, die die vorliegende Arbeit auszeichnet.

 

 


 
 
 
 
 
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